Die Klimawandelanpassung der Wälder ist ein zentrales Ziel der neuen Vorarlberger Waldstrategie 2030+. Mit der Förderung von strukturreichen Mischwäldern glaubt man dieses Ziel am besten erreichen zu können. Das Zauberwort heißt „naturnahe Waldbewirtschaftung“. Was darunter zu verstehen ist und welche Auswirkungen diese Wirtschaftsweise auf den Vorarlberger Wald hat, lesen Sie im folgenden Artikel.
Wald ist mit 38 Prozent der Landesfläche ein wichtiger Teil unserer Kulturlandschaft. Schon aufgrund der sehr kleinteiligen Besitzstruktur mit ca. 18.000 WaldeigentümerInnen wird in Vorarlberg im internationalen Vergleich überwiegend eine sehr kleinflächige und naturnahe Waldbewirtschaftung durchgeführt. Die neue Vorarlberger Waldstrategie möchte die naturnahe Waldbewirtschaftung noch weiter ausbauen und die WaldeigentümerInnen dabei unterstützen.
Was ist naturnahe Waldbewirtschaftung?
Unter naturnaher Waldbewirtschaftung versteht man eine Wirtschaftsweise, welche in hohem Maße die natürlichen Abläufe im Ökosystem berücksichtigt und sich diese zunutze macht. Dadurch haben die Wälder eine höhere Widerstandskraft gegenüber verschiedenen Schadensereignissen. Für diejenigen, die den Wald bewirtschaften, entstehen weniger Kosten und Risiken. Naturnahe Waldbewirtschaftung setzt auf Arten- und Strukturvielfalt in den Wäldern und berücksichtigt neben Ertragszielen auch die Zusammenhänge im Ökosystem inklusive der verschiedenen Bodenfunktionen. Dies erfordert ein vielfältiges Fachwissen über Eigenschaften der Baumarten und Standorte sowie ein gutes räumliches und zeitliches Vorstellung
svermögen. Im Rahmen der forstlichen Beratung wird dieses Wissen von Landesforstdienst, Waldverein und Landwirtschaftskammer an Waldeigentümer- Innen vermittelt. Auch die Plenterwaldbewirtschaftung in den nördlichen Landesteilen gehört zu den besonders naturnahen Bewirtschaftungsmethoden. Diese einzelstammweise Nutzung von reifen Bäumen bringt besonders stabile und vielfältige Strukturen in die vorhandenen Fichten-Tannen-Buchenwaldgesellschaften.
Erfolgreiche natürliche Verjüngung aller vorhandenen Baumarten
Zentrale Elemente der naturnahen Waldbewirtschaftung sind die natürliche Ansamung der am jeweiligen Standort bewährten Baumarten sowie die Anreicherung der Waldökosysteme mit zusätzlichen passenden Baumarten, welche die genetische Vielfalt erhöhen oder besser an künftige Klimabedingungen angepasst sind. Dazu sind je nach Baumart bestimmte Bodenund Lichtverhältnisse Voraussetzung. Die natürliche Verjüngung kann durch die Dosierung des Lichteinfalls in den Wäldern gesteuert werden, wobei sowohl zu wenig Licht als auch zu viel Licht (aufgrund der Konkurrenzvegetation) die Verjüngung hemmen kann. Die Kunst der Waldbewirtschaftung besteht darin, durch gezielte Nutzungs- und Pflegeeingriffe günstige Lichtverhältnisse für die Regeneration der Wälder zu schaffen, ohne die Stabilität der Bäume zu gefährden. Die Nutzungen sollten daher kleinflächig bis einzelstammweise durchgeführt werden.
Pflege des Bodens als Wasser- und Nährstoffspeicher
Ein weiteres wesentliches Element der naturnahen Waldbewirtschaftung ist die Bodenpflege. Der Boden ist Wasserspeicher und Nährstofflieferant für die Pflanzen und damit die Grundlage für Wachstum und Vitalität. Ziel der Bodenpflege ist die Aufrechterhaltung einer guten Wasserspeicherung sowie der Nährstoffverfügbarkeit. Bodenverdichtung durch unsachgemäßes Befahren sowie Nährstoffentzug durch Erosion, Ausschwemmung und Entnahme von Ast- und Laubmaterial verschlechtern die Bodenfunktionen. Eine Beschattung des Bodens durch Sträucher und Jungbäume wirkt der Austrocknung entgegen und bremst den Wind im Bestand, was die Verdunstung zusätzlich vermindert. Auch diese Ziele werden durch kleinflächige Bewirtschaftung und Mischung mit Laubbaumarten am besten erreicht. Die Blätter der Laubbäume wirken der Versauerung entgegen und unterstützen die Bodenlebewesen bei der raschen Zersetzung von Blättern, Ästen, Blüten, Samen etc. in verfügbare Nährstoffe.
Vermeidung von Großkahlschlägen – kleinflächige Nutzung – gute Erschließung
Eine naturnahe Waldbewirtschaftung erntet daher vorwiegend kleinflächig reife Bäume und schafft dadurch Lichtverhältnisse für eine natürliche Verjüngung. Eine gute Erschließung mit Forstwegen unterstützt diese Art der Bewirtschaftung und schafft zusätzliche ökologische Nischen.
Langfristiges Gleichgewicht von Lebensraum und Wildtierbeständen
Eine naturnahe Waldbewirtschaftung bietet auch ausreichende und attraktive Lebensräume für Wildtiere. Deren Bestände müssen jedoch so reguliert werden, dass sie im Gleichgewicht mit dem Lebensraum sind und nicht die eigenen Nahrungsgrundlagen bzw. Wohnhabitate zerstören. Dies tritt ein, wenn Wildbestände länger über der natürlichen Lebensraumkapazität gehalten werden bzw. die Naturverjüngung nicht mehr möglich ist.
Wald als Ökosystem sehen und bewirtschaften
Neben seinen vielfältigen Funktionen für den Menschen ist das Ökosystem Wald Lebensraum und Existenzgrundlage für eine Vielzahl an Pflanzen und Tieren, welche auf arten- und strukturreiche Standorte bzw. Habitate angewiesen sind. Es ist gesellschaftliche Aufgabe, diese Lebensräume zu erhalten und ihre Strukturvielfalt und ihren Artenreichtum durch gezielte Maßnahmen nachhaltig zu fördern. Dazu gehört auch das Belassen von stehendem Totholz in stärkeren Dimensionen, wo die Sicherheit von WaldbesucherInnen nicht gefährdet ist. Vor allem aber kann durch eine frühzeitige Pflege der
Jungwälder sowohl die Baumartenvielfalt als auch die Strukturvielfalt in den Wäldern entscheidend verbessert werden. In diesem Zusammenhang erfordert auch die Bekämpfung invasiver Neobiota besondere Anstrengungen. In einem dicht besiedelten Gebirgsland wie Vorarlberg mit hohen Ansprüchen der Bevölkerung an die Sicherstellung der verschiedenen Waldfunktionen hat sich ein integrativer Naturschutzansatz, der den Naturschutz im Rahmen der Bewirtschaftung auf allen Waldflächen berücksichtigt, als zielführend erwiesen.
Naturschutzdiskussionen wertschätzend führen
Es ist ein gesellschaftliches Missverständnis, dass unbewirtschaftete Wälder automatisch eine höhere Biodiversität aufweisen – oft ist das Gegenteil der Fall. In der häufig kontrovers geführten Diskussion wird vielfach auch übersehen, dass es sich beim Wald in Vorarlberg um eine Kulturlandschaft handelt, die durch menschliche Bewirtschaftung entstanden ist. Vielfach war und ist der Wald auch Existenzgrundlage für die EigentümerInnen. Die Vorarlberger Waldstrategie 2030+ würdigt die Leistungen der WaldbewirtschafterInnen für die Gesellschaft ausdrücklich und sieht einen respektvollen und wertschätzenden Umgang mit den WaldeigentümerInnen als wichtigsten Schlüssel für die Erreichung von Biodiversitätszielen. Dazu gehört auch eine faire Abgeltung für allfällige Bewirtschaftungseinschränkungen und Naturschutz-Dienstleistungen.
Es gibt in Vorarlberg ein Netz an Natura-2000- Waldlebensräumen, Naturwaldreservaten und Naturwaldzellen. Diese Flächen sind wichtig für die Erforschung der natürlichen Abläufe in Waldökosystemen. Die Natura-2000-Waldlebensräume werden entsprechend den gemeinsam von Forst- und Naturschutzabteilung erstellten Managementplänen bzw. Waldfachplänen bewirtschaftet, damit ein günstiger Erhaltungszustand sichergestellt werden kann. Die Umsetzung von Naturschutzmaßnahmen soll prioritär durch die betroffenen GrundeigentümerInnen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes erfolgen. Zusätzliche Außernutzungstellungen von Waldflächen sollen ebenfalls im Rahmen des Vertragsnaturschutzes partnerschaftlich mit den Waldbesitzenden entwickelt werden.
Die Waldbewirtschaftenden werden sowohl vom Land als auch von Bund und EU mit entsprechenden Förderprogrammen für naturnahe Bewirtschaftungsmethoden und Erhöhung der Biodiversität gefördert.